PRISMA - Fremde Federn [28.09.2005]

Uns hat niemand gefragt. Eine kurze Bilanz zu 15 Jahren Deutsche Einheit.

Von Gregor Hempel.

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit all jenen, die zum Zeitpunkt des Verschwindens der DDR noch Kinder waren.

Viele von uns können sich nur noch dunkel an ihre ersten Lebensjahre erinnern, ich gehöre zu den glücklichen, die eine Menge Erinnerungen an die DDR behalten haben, welche sich bei mir jedoch erst in der Pubertät wirklich als DDR-Erinnerungen einordnen ließen.

Ich stellte mir im Alter von 14 Jahren (1998) die Frage woher ich komme und was vor der Zeit war, die ich damals Gegenwart nannte. Klar war mir die DDR ein Begriff, jedoch konnte ich nicht wirklich etwas damit anfangen. Verbunden damit Erinnerungen an meine Kindergartenzeit, den Palast der Republik, Berlin.Palast der Republik, den Leninplatz inklusive Allee, die Gartenschau in Marzahn, die Jung-Pioniere usw. Mir war aber nicht klar womit das alles zusammenhing, ich begann mich mit der Materie auseinanderzusetzen um ein Bild von den Geschehnissen in meiner Kindheit zu erhalten. Mittlerweile denke ich ganz gut darüber urteilen zu können. Infolgedessen betrachtete ich meine Gegenwart und mein Umfeld mit anderen Augen, was mich dazu motiviert hat diese Bilanz zu schreiben.

Geboren bin ich am 17.September 1984 in Berlin – Friedrichshain, ich wuchs, wie auch alle meine Freunde, in einem typisch sozialistischen Elternhaus auf.

Unsere Helden waren Erich Honecker, Pittiplatsch, Schnatterinchen, Moppi, Herr Fuchs http://archiv.ddr-im-www.de/Bilder/schnatterinchen_pluesch.jpgund Frau Elster, der Sandmann, Plumps usw. wir hörten mit Freude den Traumzauberbaum und andere Hörspiele, ließen uns aus Büchern vorlesen wie etwa „Schweinchen Jo“  oder „bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“.

Im Kindergarten wurde mit uns gesungen, gespielt, wir haben viel gemalt, man erklärte uns die Schönheiten unserer Heimat und brachte uns bei, daß die Volkspolizei der Freund und Helfer ist, die NVA uns alle beschützten. Unsere älteren Geschwister waren schon eingeschult und Pioniere, sie erzählten uns von den tollen Dingen, die sie am Tage gemeinsam erlebt hatten. Man sagte uns, daß sobald wir in die Schule kämen auch Pioniere sein würden, die ein blaues Halstuch tragen dürften. Das war schon was besonderes und ein toller Ausblick auf die Zukunft.

Wenn uns unsere Eltern abholten fuhren wir mit Trabanten, Wartburg oder Lada nach Hause, gingen mit ihnen in die Kaufhalle, aßen Abendbrot, schauten noch den Sandmann und dann ging es ins Bett. Am Wochenende durften wir auch schon mal ein bisschen den „Kessel Buntes“ mitgucken. PRISMA: Unsere Kolumne. Klick!

Das war sozusagen unser Tagesablauf im Sozialismus. Es war eine glückliche und unbeschwerte Kindheit, die ich unseren Altersgenossen im Westen natürlich auch nicht absprechen möchte, jedoch hatten sie keine größeren Veränderungen in ihrem Umfeld bzw. nicht so krasse wie wir sie wohl hatten.

Als am 9.11.1989 die Mauer fiel, war uns natürlich noch gar nicht bewußt, was da geschah. Aber daß da etwas geschah, haben wir schon irgendwie gemerkt. So waren zum Beispiel einige Kindergartenkinder meiner Gruppe einfach irgendwann nicht mehr da, darunter auch meine beste Kindergartenfreundin. Sie hatte sich nicht mal wirklich von mir verabschieden können. Überhaupt war plötzlich alles anders, mit dem Tagesablauf unserer Eltern änderte sich auch unserer. So wurde ich zum Beispiel fast immer von meiner Mami mit der Straßenbahn in den Kindergarten gebracht, aber plötzlich fuhr mich mein Papi so gut wie jeden Morgen mit dem Trabant hin und mußte vorher noch irgendwo Milch abholen, was ich nicht verstand. Wir hörten nun nichts mehr von Erich Honecker, der Volkspolizei, sangen keine Lieder mehr von der Friedenstaube oder den Soldaten. Unsere Eltern gingen mit uns auch nicht mehr in den Palast der Republik, denn der war plötzlich geschlossen! Auch im Kindergarten änderte sich, wie im Rest der Republik, das Essensangebot, es gab als Kompott neben Mohrrüben nun auch Milchschnitte, Fruchtzwerge oder auch Trinkpäckchen. Wollten wir das wirklich alles haben? Uns hat niemand danach gefragt, es hat sich einfach alles so eingeschlichen.

Irgendwann war auch nicht mehr die Rede von „ unserer DDR “. Wenn wir mit dem Kindergarten spazierengingen, führte unser Weg nun an geschlossenen Betrieben vorbei. Wo zuvor noch reges Treiben herrschte, war plötzlich kein Mensch mehr zu sehen. Auf Nachfragen reagierte man kindgerecht: „wurde geschlossen“. Warum, wurde uns nicht gesagt. Wir hätten es ohnehin nicht verstanden.

Fakt ist jedoch, daß sich unser Umfeld, speziell unser Ost-Berlin, schlagartig stark veränderte.

Die DDR war schon verschwunden, als wir in die Schule kamen. Ich habe am ersten Schultag wirklich gedacht, ich bekäme mein blaues Halstuch. Aber ich bekam es nicht und dachte schließlich nicht weiter drüber nach (man hat als ABC-Schütze dann wohl auch andere Probleme).

Die Jahre vergingen, wir wuchsen in den 90ern auf und es scheint fast so, als ob dieses Jahrzehnt nur so vorbeigerauscht ist. Die DDR war für uns nun 10 - 12 jährige ein Synonym für Vergangenheit und das kam uns nicht mal mehr merkwürdig vor. Doch wenn man heute so drüber nachdenkt, waren die 90‘er Jahre schon ziemlich komisch... Es gab so viele merkwürdige neue Dinge, es wurden Häuser gebaut die komisch aussahen und sich gar nicht harmonisch in unsere Plattenbauten – Atmosphäre einfügten.

Unsere Eltern waren damit beschäftigt, sich im Kapitalismus halbwegs zurechtzufinden, was den einen gelang, den anderen aber nicht. Somit waren sie nicht mehr so oft zu Hause wie früher, und wir waren manchmal auf uns selbst angewiesen, weil sich von gesellschaftlicher Seite her niemand um uns kümmerte. So ca. ab dem 13. Lebensjahr kümmerte sich wirklich niemand (außer den Eltern und der Familie!) von staatlicher Seite mehr um uns, es gab ja auch kaum Freizeitangebote aufgrund von immer stärkeren finanziellen Kürzungen. Ich hatte damit weniger Probleme, da ich schon als kleines Kind wußte, mich selbst zu beschäftigen.

Andere jedoch sind damals schon abgerutscht, auf die schiefe Bahn geraten und gehören heute mit zu den jüngsten Harz IV Empfängern, wenn nicht sogar noch schlimmeres.

Überhaupt waren wir mit vielen schlimmen Dingen konfrontiert, wie zum Beispiel Rechtsextremismus, Armut oder sehr üblen Familien-Schicksalen. So etwas haben wir vorher nie gekannt....

Wo stehen wir heute ? Die Minderheit von uns hat Abitur, ist aber auch mit den Problemen in dieser Gesellschaft allein gelassen, da uns auch unsere Eltern in manchen Dingen  leider nicht behilflich sein können. Bei ihnen erfolgte der Start ins Berufsleben logischerweise unter völlig anderen Voraussetzungen. Es ist für uns schon ziemlich schwer sich mit allem zurecht zu finden, zudem noch den Ausblick auf Deutschlands Zukunft zu haben. Was soll aus einem jungen Menschen in diesem Staat werden ? Etliche werden wohl resignieren und schon mit 25 alt sein, einige sind es schon jetzt und das ist ziemlich erschreckend !

Bei mir selbst und meinem Umfeld ist dies zwar nicht der Fall und wird es auch nicht sein aber was ist mit denen, die nicht über genügend Selbstbewußtsein, Durchsetzungskraft und Mut verfügen??? Sie werden wohl in dieser Gesellschaft scheitern und das ist sehr, sehr traurig und arm.... Das schlimmste daran jedoch ist, daß sie nicht mal selbst daran schuld sind !

Unsere Heimat wurde „wegsaniert“, nur noch wenige Spuren künden von unserem einstigen Zuhause und Geburtsland. Stück für Stück wurde konsequent beseitigt, wir sind zu Hause, aber irgendwie auch nicht. Man hat uns in eine Welt geworfen, die wir so nicht wollen!

15 Jahre nach dem Verschwinden der DDR ist das Lied von Silly „Verlorne Kinder“ aktueller denn je.

15 Jahre Deutsche Einheit – Uns hat niemand gefragt...